27.06.2002
Sergio Cardenas und die zwölf Cellisten der Berliner Philharmoniker
EIN RAP FÜR WOLFGANG AMADEUS
VON
MICHAEL THUMSER
Einen musikalischen Ausflug
nach Amerika unternahmen die zwölf Cellisten der Berliner Philharmoniker - und
nahmen Sergio Cárdenas mit.
Als 21-Jähriger, 1972 in
Salzburg, hörte Sergio Cárdenas die Berliner Cellisten zum ersten Mal; damals
begannen die zwölf Apostel des tiefergelegten Streichersounds gerade ihren
internationalen Aufstieg als ebenso kurioses wie innovatives Ensemble. Für den
jungen Mexikaner blieb die Begegnung ,,eine unvergessliche Erfahrung''.
Jahrzehnte später fragte Georg Faust, der erste Cellist, um ein Auftragswerk
nach; ein Rap sollte es sein - also ein zwar im weiteren Sinn ,,klassisches
Stück'', das jedoch eine Fusion eingeht mit dem ,,quasselnden'', extrem
rhythmisch angelegten Sprechgesang, wie er seit den Achtzigern, aus Afroamerika
kommend, in der internationalen Popmusik hoch aktuell ist.
So entstand ,,The Flower is
a Key - A Rap for Mozart''. Denn bei der Bitte aus Berlin dachte Cárdenas
,,sofort an das herrliche Gedicht ,Mozart' von Dyma Ezban'', das - mit Widmung
an den Komponisten - 1991 zum 200. Todestag des Genies entstanden war. In
gehobenem Ton schildert es, wie der Knabe Wolfgang Amadeus sein Ohr lauschend an
einen Baumstamm legt und beim Knacken der Äste lernt, in die eigene Seele zu
horchen; wie er, später, in Blumen den Schlüssel zur Schönheit, im wogenden Meer
den ,,Ursprung'' aller Melodie erahnt; und wie der ,,himmlische Eine'' ihm, der
sich allzu früh in seiner Kunst verzehrt, einen Abglanz von der Harmonie
göttlicher Schöpfung mitgibt.
Weniger empfindsam als
vehement und virtuos stimmen die Top-Cellisten die Musik dazu an - auf der CD
ist Cárdenas' Beitrag gewiss der mitreißendste. Den Sprechpart übernahm kein
Geringerer als Sir Simon Rattle, neuer Chef der Philharmoniker und einer der
gescheitesten Dirigenten weltweit. Im Verbund der Beliner mit dem Briten wird
aus dem Rap eine sehr europäische Angelegenheit. Cool, spielerisch blasiert
lässt Rattle seine Stimme rattern, raunen, näseln, und auch die Musiker, als
Chor im Dialog mit ihm, haben verbal mitzureden. Synkopisch ruppig treiben sie
die Musik vorwärts, die sich an lateinamerikanische Rhythmik wie an den
nordamerikanischen Minimalismus anlehnt, strophisch gegliedert und
kontrastreich, phasenweise herrisch fordernd, zwischendurch zurückgezogen in
murmelnd-munkelndes Pianissimo. ,,Halleluja'' haucht Rattle am Ende - doch nicht
so sehr dem ,,himmlischen Einen'' wird gehuldigt als dem irdisch Einzigartigen:
,,Mozart'' rufen die Cellisten als Antwort heraus und haben damit das letzte
Wort.
Keineswegs der erste Rap
aus Cárdenas' Werkstatt ist dies; in Hof - mit dem maulfertigen Andrè Wilkens
als Solisten - feuerte er vor gut zwei Jahren das Publikum mit seinen ,,Stimmen
von den hohen Bergen'' zu begeistertem Applaus an. Auch nicht die erste
Einspielung mit Eigenkompositionen ist die EMI-CD; im Juli 2001 erst stellte er
in Hof eine Platte mit Vokalstücken (,,Enturia'') vor, gesungen vom Konzertchor
der Symphoniker. Nun, auf der Neuaufnahme, firmiert Cárdenas' Name neben denen
von Bernstein und Gershwin, Glenn Miller und Mancini, Chick Corea und Thelonious
Monk... eine angemessen illustre Nachbarschaft.
Round Midnight: EMI Classics, CD 5 57319 2
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