27.06.2002

Sergio Cardenas und die zwölf Cellisten der Berliner Philharmoniker

 

EIN RAP FÜR WOLFGANG AMADEUS

 



VON MICHAEL THUMSER

Einen musikalischen Ausflug nach Amerika unternahmen die zwölf Cellisten der Berliner Philharmoniker - und nahmen Sergio Cárdenas mit. Oder richtiger: Sie trafen ihn am Ziel an; denn in Mittelamerika, in Mexiko, hat der Künstler seinen Hauptwohnsitz. Von 1985 bis 1989 stand er den Hofer Symphonikern als Chef am Pult vor und blieb dem Orchester seither eng verbunden. Auf der neuen CD der famosen Streichertruppe, ,,Round Midnight'', markiert seine Komposition ,,The Flower is a Key'' den Mittelpunkt des Programms, das aus Arrangements klassischer Broadway- und Kino-Melodien, Spirituals und Jazz-Leihgaben besteht. Das Plattenunternehmen EMI selbst nennt Cárdenas' ,,Rap for Mozart'' ein ,,Highlight''.

Als 21-Jähriger, 1972 in Salzburg, hörte Sergio Cárdenas die Berliner Cellisten zum ersten Mal; damals begannen die zwölf Apostel des tiefergelegten Streichersounds gerade ihren internationalen Aufstieg als ebenso kurioses wie innovatives Ensemble. Für den jungen Mexikaner blieb die Begegnung ,,eine unvergessliche Erfahrung''. Jahrzehnte später fragte Georg Faust, der erste Cellist, um ein Auftragswerk nach; ein Rap sollte es sein - also ein zwar im weiteren Sinn ,,klassisches Stück'', das jedoch eine Fusion eingeht mit dem ,,quasselnden'', extrem rhythmisch angelegten Sprechgesang, wie er seit den Achtzigern, aus Afroamerika kommend, in der internationalen Popmusik hoch aktuell ist.

So entstand ,,The Flower is a Key - A Rap for Mozart''. Denn bei der Bitte aus Berlin dachte Cárdenas ,,sofort an das herrliche Gedicht ,Mozart' von Dyma Ezban'', das - mit Widmung an den Komponisten - 1991 zum 200. Todestag des Genies entstanden war. In gehobenem Ton schildert es, wie der Knabe Wolfgang Amadeus sein Ohr lauschend an einen Baumstamm legt und beim Knacken der Äste lernt, in die eigene Seele zu horchen; wie er, später, in Blumen den Schlüssel zur Schönheit, im wogenden Meer den ,,Ursprung'' aller Melodie erahnt; und wie der ,,himmlische Eine'' ihm, der sich allzu früh in seiner Kunst verzehrt, einen Abglanz von der Harmonie göttlicher Schöpfung mitgibt.

Weniger empfindsam als vehement und virtuos stimmen die Top-Cellisten die Musik dazu an - auf der CD ist Cárdenas' Beitrag gewiss der mitreißendste. Den Sprechpart übernahm kein Geringerer als Sir Simon Rattle, neuer Chef der Philharmoniker und einer der gescheitesten Dirigenten weltweit. Im Verbund der Beliner mit dem Briten wird aus dem Rap eine sehr europäische Angelegenheit. Cool, spielerisch blasiert lässt Rattle seine Stimme rattern, raunen, näseln, und auch die Musiker, als Chor im Dialog mit ihm, haben verbal mitzureden. Synkopisch ruppig treiben sie die Musik vorwärts, die sich an lateinamerikanische Rhythmik wie an den nordamerikanischen Minimalismus anlehnt, strophisch gegliedert und kontrastreich, phasenweise herrisch fordernd, zwischendurch zurückgezogen in murmelnd-munkelndes Pianissimo. ,,Halleluja'' haucht Rattle am Ende - doch nicht so sehr dem ,,himmlischen Einen'' wird gehuldigt als dem irdisch Einzigartigen: ,,Mozart'' rufen die Cellisten als Antwort heraus und haben damit das letzte Wort.

Keineswegs der erste Rap aus Cárdenas' Werkstatt ist dies; in Hof - mit dem maulfertigen Andrè Wilkens als Solisten - feuerte er vor gut zwei Jahren das Publikum mit seinen ,,Stimmen von den hohen Bergen'' zu begeistertem Applaus an. Auch nicht die erste Einspielung mit Eigenkompositionen ist die EMI-CD; im Juli 2001 erst stellte er in Hof eine Platte mit Vokalstücken (,,Enturia'') vor, gesungen vom Konzertchor der Symphoniker. Nun, auf der Neuaufnahme, firmiert Cárdenas' Name neben denen von Bernstein und Gershwin, Glenn Miller und Mancini, Chick Corea und Thelonious Monk... eine angemessen illustre Nachbarschaft.

Round Midnight: EMI Classics, CD 5 57319 2


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